“Es klang toll, aber wir wussten beide nicht warum.”
Diesen Satz, den ich auch hätte als Titel verwenden können, sagte Ulla, als ich ihr von meiner Odyssee von einer Gesangslehrerin zur nächsten in meinen frühen Jahren der Stimmentwicklung erzählte. Und ich sage euch, es könnte ein Fortsetzungsroman mit etlichen Folgen werden.
Seidentücher und Stimme
Heute möchte ich euch meine Geschichte mit den Seidentüchern erzählen.Zum damaligen Zeitpunkt war ich 22 Jahre alt, hatte eine sehr kräftige Stimme, aber mir fehlten die Feinheiten, das Vibrato ließ auch noch auf sich warten und ich machte auf meine Zuhörer:innen oft einen ziemlich festen Eindruck. Da kam meine Gesangslehrerin auf die Idee, mir zwei Seidentücher in die Hand zu drücken und sie sagte, ich möge sie in Kreisen bewegen lassen, so dass sie durchgängig fliegen würden, solange ich sänge. Es war eine Übung, die mir viel Spaß machte, hatte ich doch bis dato immer brav vor meinem Spiegel gestanden und mir beim Singen zugesehen und zugehört. Nun bewegte ich mich beim Singen durch ihr Zimmer und kam mir ein wenig vor wie bei der rhythmischen Sportgymnastik. Und es fühlte sich gut an.Meine Stimme bewegte sich, die Musik bewegte sich, die Musik bewegte mich. Und vor allem die Musik, die ich nun machte, bewegte meine Zuhörer:innen viel mehr als jemals zuvor. Denn in unserem ersten gemeinsamen Schüler:innenkonzert durfte ich meine Seidentücher als Unterstützung benutzen.
Woher kam die Änderung meiner Stimme?
Aber da ich schon immer wissen wollte, wie Dinge denn zusammen hängen, stellte sich mir neben diesem wunderbaren Gefühl die Frage: was passiert dabei eigentlich, dass ich auf einmal so singen kann? Und leider hatte meine Lehrerin keine Antwort. Sie meinte nur, dass ihre Erfahrung sei, dass es gut wirken würde, alle ihre Schüler:innen würden darauf positiv reagieren. Hm, das war schön, aber warum? Und wie sollte ich es schaffen, dieses Ergebnis auch zu bekommen, ohne dass ich immer mit Seidentüchern auf der Bühne tanzen würde? Viele, viele Jahre später, als ich in der Ausbildung für das funktionale Stimmtraining war, wurde mir der Zusammenhang zwischen Körper, Atmung und Stimme bewusst. Und damit konnte ich es mir und auch meinen Schüler:innen erklären, was damals passiert war. Und es wurde viel klarer, auf was man achten kann, so dass man sich auch ohne Tücher in diesen körperlichen und emotionalen Zustand begeben kann.