Erstes Kennenlernen der Rabine-Methode

Um eine besserer Idee davon zu bekommen, was die Rabine-Methode für die Popularmusik sein kann, ist es hilfreich zuerst zu verstehen, was die Rabine-Methode ausmacht. Dazu haben wir übrigens auch schon einen weiteren Artikel hier im Blog veröffentlicht.
Was also kann innerhalb dieser Methode alles erfahren werden?

Forschungen innerhalb der Rabine-Methode

Ich habe mit meiner Kollegin Ulla die Ausbildung Mitte der 90er Jahre absolviert, als ich innerhalb meines klassischen Gesangsstudiums in eine Sackgasse geraten war. Nach allem, was ich vorher erlebt und gelesen hatte, habe ich dort endlich eine Methode entdeckt, die sich mit den anatomischen und physiologischen Voraussetzungen intensiv auseinander gesetzt hatte. Und es wurde dort kontinuierlich weiter geforscht und ausprobiert. Heute haben wir das an vielen Stellen in der Gesangspädagogik auf die eine oder andere Weise. Aber zum damaligen Zeitpunkt war das noch nicht so üblich.
Diese Forschungen zeigten einen hör- und fühlbaren Zusammenhang zwischen der Stimmfunktion im Kehlkopf und den übrigen Funktionen des Körpers. Es erschien deshalb logisch und folgerichtig, den Körper in das Singenlernen einzubinden. Dabei versuchen wir, bestimmte für das Singen wichtige Funktionen durch spezielle Körperübungen zu unterstützen. Es geht dabei nicht um Lockerungsübungen, die heutzutage häufig im Gesang anzutreffen sind. Sie können durchaus wirksam sein und haben ihre Berechtigung. Aber bei uns geht es mehr um das Verständnis der einzelnen Teilfunktionen. Denn diese unterstützen in ihrer Zusammenarbeit die Stimmlippen im Kehlkopf bei ihrer unabhängigen Arbeit.

Grundannahme Doppelventilfunktion

Die grundlegende Annahme der Rabine-Methode ist, dass wir es beim Singen mit einem Doppelventil zu tun haben. Doppelventil deshalb, weil wir zwei Ventile innerhalb des Kehlkopfes haben: Stimmlippen und Taschenfalten.
Es ist also günstig, wenn wir lernen unseren Körper so zu nutzen, dass das Doppelventil, besonders aber die Stimmlippen optimal für Phonation funktionieren können. Dann haben wir die maximale Möglichkeit, mit unserer Stimme alles ausdrücken zu können, was wir möchten.

Unterschiede der Rabine-Methode zu anderer Stimmforschung

Und etwas war trotzdem noch anders als in vielen anderen Schulen, die sich mit dem Singen und auch dem Körper beschäftigen. Eugen Rabine und die Menschen, die mit ihm forschten gaben sich nicht damit zufrieden, Sänger:innen zu untersuchen, die ihrer Meinung nach wunderbar sangen und tolle Musiker waren, um zu verstehen, wie sie das machten, um es dann auch so machen zu können.

Sie gingen noch einen Schritt weiter. Sie versuchten herauszufinden, wie die Funktion des menschlichen Kehlkopfes gedacht sein könnte und was die Stimmfunktion optimalerweise in der Lage zu leisten ist. Welche körperlichen, physiologischen, anatomischen, neurologischen und psycho-emotionalen Bedingungen brauchen wir, damit unser Kehlkopf in der bestmöglichen Art und Weise reagieren kann?

Ästhetik im Gesang

Und das erst einmal unabhängig von der eigenen Ästhetik!
Das war und ist ein sehr hoher Anspruch, denn natürlich bringen wir alle unsere Ästhetiken mit. Wir finden Stimmen schön und hässlich. Wir sagen und denken solche Sachen wie: “die Technik ist zwar gruselig, aber es berührt mich.” “Was für eine schöne Stimme.”
Stimme ist für uns alle, egal ob wir singen oder nicht ein hochemotionales Thema und diese eigenen Werturteile und Geschmacksdinge loszulassen, ist nicht so einfach. Vielleicht müssen wir sie auch nicht loslassen, sondern vor allem versuchen, die Wertung, die wir damit verbinden mehr außen vor zu lassen.
Es ist nicht so einfach mit uns selbst und der Ästhetik, denn sie prägt uns sehr stark. Unsere Stimme ist etwas, mit dem wir uns tief identifizieren. Und diese Identifizierung mehr und mehr loszulassen und andere Kriterien als die von schön und hässlich zu entwickeln, braucht Zeit. Und nicht nur eine Entwicklung, was die Stimmtechnik betrifft. Denn auch unsere gesamte Persönlichkeit muss hinterher kommen dürfen. Das ist ein Prozess, der lange dauern kann, wie ich aus eigener Erfahrung nur zu gut weiß.

Es gibt eine Methodik und Pädagogik aus der Methode heraus

So wie die Stimmfunktion in der Rabine-Methode von Grund auf erforscht wurde, wurde auch die Gesangspädagogik und -methodik entwickelt. Denn die Methode besteht nicht nur aus Übungen, sondern das gesamte pädagogische und methodische Konzept gehört mit hinein in die Methode. Das ist ein großer Unterschied zu anderen Techniken und “Methoden”. Die Frage danach, wie ich den Schüler:innen dies Wissen vermittle ist wesentlich und wird ausführlich am Rabine-Institut vermittelt.
Die Orientierung an den anatomischen und physiologischen, aber auch den biologischen Aspekten in ihren Grund- und Überlebensprinzipien spielt dabei eine sehr große Rolle.

Wie unterrichten wir?

Deshalb ist die Rabine-Methode auch eine etwas andere Art zu unterrichten als die klassische und auch popularmusikische Arbeitsweise, die überwiegend praktiziert wird. Als erstes fällt den meisten auf: wir unterrichten nicht durch Vorsingen-Nachsingen. Denn es geht nicht darum, einen angestrebten Klang möglichst gut klingend und sich wohlfühlend nachahmen zu können und sich dadurch selbst anzueignen, sondern es geht mehr darum, die eigenen Stimmfunktion durch sensomotorisches Wahrnehmungstraining zu erleben.
Das betrifft gerade zu Beginn vor allen Dingen die eher größeren und gröberen Bereiches des Körpers, wenn es darum geht zu spüren, was wirklich Aufrichtung und Tonisierung im Körper bedeutet. Denn das ist eine wesentliche Voraussetzung, um eine sängerisch optimal gestaltete Einatmung gestalten zu können. Haltungsmuskeln sind zu großen Teilen auch Atmungsmuskeln, die dann die feinen Bereiche wie Vokaltrakt und Stimmlippen beeinflussen.
Wir haben die Möglichkeit über die Gestaltung des Luftwegs, der auch gleichzeitig in der Phonation zu unserem Resonanzraum, Resonator, Vokaltrakt wird, schon innerhalb der Einatmung gute Voraussetzungen zu schaffen, damit die Stimmlippen im Kehlkopf optimal arbeiten können. Denn auch sie brauchen, um eine optimale Stimmfunktion hervorzubringen Voraussetzungen, die erfüllt sein sollten.

Gesangspädagogisches Wissen: Beispiel Kehlkopfsenkung

Viele Einzelvoraussetzungen sind den meisten Gesangspädagog:innen und Vocal Coaches relativ klar. So wissen die meisten, die klassichen Gesang unterrichten, dass wir eine flexible tiefe Kehlkopfstellung brauchen. Und in der Popularmusik wissen wir, dass die Kehlkopfstellung nicht so tief sein darf.
Aber warum das so ist und wie wir das erreichen, da beginnen schon die ersten unterschiedlichen Meinungen und das Verständnis über die Stimmfunktion geht auseinander. Manchmal werden die Zusammenhänge und das Wissen darüber sogar komplett ignoriert. Manche beschreiben einfach nur, was sie erleben oder was sie bei anderen sehen und hören. Und dann gehen sie wie selbstverständlich davon aus, dass es deshalb genau so und nicht anders sein sollte.
Wir sehen, es gibt viele Meinungen und Ansatzpunkte, um mit diesem wirklich komplexen Thema umzugehen.
Manche finden, es ginge zuerst einmal um den Klang, andere meinen, das Wichtigste sei, es fühle sich besser an. Die wenigsten wissen, dass die Stimmlippen im Kehlkopf erst optimal arbeiten können, wenn der Kehlkopf entfaltet ist. Und Entfaltung bedeutet in diesem Fall Kehlkopfsenkung.


Und wie gehen wir mit diesem Wissen um, wenn wir in der Popularmusik einen nicht komplett entfalteten Kehlkopf haben? Ist das Singen innerhalb der Popularmusik deshalb schädlich für die Stimme, wie manche klassischen Pädagogen:innen immer noch denken?
Diese Gedanken könnte man noch sehr viel weiter ausführen. Ich möchte hier ein paar Hinweise geben, aus welcher Brille, mit welcher Sichtweise wir von Voice Experience an die Themen der Stimme heran gehen.

Qualitätsmerkmale der klassischen Stimme

Im klassischen Gesang ist es hilfreich, dass man feststellen kann, dass die Stimme, wenn sie sich ihrem Optimum annähert bestimmte Parameter erfüllt, die bei einer klassischen Stimme überwiegend als Qualitätsmerkmale gelten:

  • Wir bekommen ein regelmäßiges Vibrato, was weder zu schnell noch zu langsam schwingt.
  • Wir hören einen vollen Klang der Stimme, der sowohl hohe als auch tiefe Frequenzen enthält.
  • Wir hören einen durchgehenden Sängerformanten in den Lagen, in denen der Sängerformant aufgrund seiner Frequenz (2800-3200 Hz) produziert werden kann.
  • Wir hören einen wunderbaren Vokalausgleich, denn der Vokaltrakt hat eine Grundöffnung, die wir für alle Vokale gleichermaßen beibehalten können.
  • Die Sänger:innen erleben eine Mühelosigkeit und Freude im Gesang, die es zu einem wunderbaren Erlebnis macht, auf der Bühne zu stehen.
  • Schlussendlich ist es möglich, bis ins hohe Alter ohne Klangeinbußen zu singen. Denn leider hören wir oft große stimmliche Probleme bei vielen Sänger:innen, wenn sie die 45 oder 50 überschritten haben.

Und jetzt zur Popularmusik

Was hat das jetzt mit dem popularen Gesangsstil zu tun? Auch dort wird heutzutage in erster Linie darüber gelernt, dass ich versuche, die Art zu singen, der Sänger:innen, die ich mag nachzuahmen. Es gibt regelrecht Methoden dafür, die einer Sängerin beibringen, wie all die Klänge selbst produzieren werden können, die mein Lieblingssänger hervorbringt. Das ist an sich keine schlechte Sache, denn mit Klängen zu experimentieren und sie nachahmen zu wollen, diesen Spaß haben wir schon als Kinder. Und sich diesen Spieltrieb beim Singen zu erhalten ist wunderbar.
Aber wenn wir beginnen, das für unseren eigenen Stimmklang zu halten und keine Möglichkeit haben, die Grundprinzipien von Stimme und Gesang zu erlernen, wird sich das unserer Erfahrung nach irgendwann auf die Stimmgesundheit und die Vielseitigkeit der Möglichkeiten im Singen auswirken.
Durch die Kenntnis und die Anwendung von gezielten Körperübungen ist es durch das funktionale Stimmtraining möglich, die Grundfunktionen der Stimme zu erlernen. Bevor wir klingen wollen wie XYZ lernen wir, wie klinge ich, wenn ich meinen Klang, meinen Raum, meinen Körper, meine Stimme in Besitz nehme:

  • Was passiert, wenn ich mich anders aufrichte?
  • Wie wirkt sich eine Sänger-Atmung auf den Stimmklang aus?
  • Wie verändert die Gestaltung des Vokaltraktes meinen Klang?
  • Wie fühlen sich denn unsere Stimmlippen an, wenn wir phonieren?
  • Was ist der Unterschied, wenn ich mit starker oder weniger starker medialer Kompression (Luftdruck gegen Stimmbandschließung) singe?
  • Wie produziere ich Lautstärke, wenn ich nicht einfach nur mehr Druck von unten geben möchte?
  • Wie reagieren meine Stimmlippen auf ein unterschiedliches Angebot von Raum durch den Vokaltrakt und wie klingt meine ganz eigene Stimme dann?
  • Wie verändert sich meine Empfindung von Stimme und mein Klang, wenn ich die Atmung dazu nehme?
  • Wie kann ich meine Atmung mehr in eine optimale Funktion bringen, wenn ich den restlichen Körper in diesem Funktionskreislauf mit einbeziehe?

All das sind Fragen, die wichtig sind. Wir stellen sie uns beim Singen, wir stellen sie unseren Schüler:innenund die wir sie lassen sie es erleben.

Was bietet uns die Rabine-Methode an?

Die Rabine-Methode bietet eine methodische und pädagogische Herangehensweise, die es den Schüler:innen ermöglicht, die Zusammenhänge von Körper, Atmung und Stimme zu hören, zu erleben, innerlich zu spüren und auch zu verstehen. Von dieser Basis aus, wenn ich die eigene Stimme kenne und mit ihr umgehen kann, bin ich in der Lage sehr viele unterschiedliche Klänge zu produzieren, ich kann in vielen styles der Popularmusik singen. Ich kann mich immer entscheiden, wie viel Öffnung, wie viel Schließung ich nutzen möchte. Und ich lerne ein Optimum an Differenzierung, um so Klänge stilgemäß einsetzen zu können und gleichzeitig sehr bewusst zu sein, wo die Grenzen sind.
Aber wir vermitteln auch, wie ich mich nach überschreiten von Grenzen, die meine Stimme u.U. mehr belasten, als es gut für sie wäre ohne jedes Problem wieder entlasten kann.
Denn vielseitige und unverwechselbare Sounds der eigenen Stimme zu erzeugen ist ein wichtiger Faktor innerhalb der Popularmusik. Dazu braucht es die gute Kenntnis der eigenen Stimme, des eigenen Körpers. Und eine hohe Differenzierbarkeit unseres Instruments Stimme.


Möchtest du mehr erfahren über die Schritte innerhalb der Methode des Unterrichtens? Dann lade dir gern hier unser E-Book mit den 6 Basics für die Stimme herunter.

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