Sperrigkeit des Wortes Sensomotorik
Kaum ein Begriff scheint sich weniger für eine kurze und knappe Erklärung zu eignen als die Sensomotorik. Er scheint sich förmlich zu sperren, sinnliche Assoziationen in einem hervorzurufen und damit mit allen Sinnen erfahrbar zu werden.
Die konkrete Bedeutung des Begriffs wurde mir, Hilkea erst sehr spät klar, nachdem ich schon lange immer wieder gehört hatte und auch selber meinen Schüler:innen gesagt hatte, dass wir in der Rabine-Methode mit dem sensomotorischen Wahrnehmungstraining arbeiten.
Und dann machte es vor ca. 2 Jahren auf einmal ganz laut „klick“, als ich eine Definition im Internet las. Ein Universum ging auf, auf der einen Seite so neu und auf der anderen Seite sagte etwas in mir: „ach so, das ist gemeint. Das mache ich doch schon immer, das weiß ich doch längst.“
Das kann sein, aber eine ganz wichtige Verknüpfung hatte all die vielen Jahren gefehlt. Die Verbindung mit all meinen Sinnen. Das Wort an sich war für mich sinnlos, meine Sinne waren nicht dabei, wann immer ich das Wort hörte und las und benutzte.
Und das änderte sich schlagartig an diesem Tag im Neurologie Seminar, was ich gerade hielt. Denn genau das ist es doch, nach dem wir uns so sehnen, in unserem Leben, in unserer Arbeit. Mit allen Sinnen das Leben zu fühlen und zu schmecken.
Für mich öffnete sich ein neues Tor an diesem Tag.
Die Lebendigkeit der Neurologie
Und während ich schreibe, dabei in mich hinein spüre, ist der gerade noch so sperrige, sich sträubende Begriff der Sensomotorik viel näher gerückt. Denn ich bin mittendrin im großen Universum der Sensomotorik. Die Gedanken sprühen, versprühen Funken. Das Gehirn blitzt und Gedanken leuchten auf, diese Gedankenblitze erleuchten und heraus kommt eine strahlende Idee. Aha, das Tor wird mir mit einem Mal noch sichtbarer, fühlbarer.
Es sind doch alles Synapsen, die miteinander agieren. Aber in diesem Moment, wo ich es zum Leben habe erwachen lassen, kann mich selbst eine Wortkettenassoziation aus meiner Schulzeit wie „Synapse – Biounterricht – Herr Strugalla – der Schlüssel fliegt einem Schüler auf den Tisch, knapp am Kopf vorbei“ nicht mehr vom inspirierten Schreiben und Fühlen abbringen.
Das Tor ist geöffnet, das Wort, der Begriff, das ganze Universum der Sensomotorik erstrahlt vor mir. Und ich kann dem Drängen, erst einmal genau recherchieren zu müssen widerstehen und stürze mich ins Abenteuer der Assoziationen und Gefühle.
Erster Teil des Begriffs: Senso-
Der erste Teil des Wortes ist Senso. Das klingt und strömt und wenn ich es mir auf der Zunge zergehen lasse, dann erschließt es sich sofort, denn es sind unsere Sinne, our senses, die da zu uns sprechen. Mit allen Sinnen das Leben genießen. Wir haben all das schon seit langer, langer Zeit in unsere Sprache integriert, denn ganz eigentlich ist doch alles aus diesem großen See des Empfindens, des Spüren gekommen. Die Sehnsucht, das was wir fühlen auch auszudrücken, eine Sprache, ganz nah an uns dran, in uns drin und das nach außen fließen zu lassen. Es gibt dazu sogar ein Wort griechischen Ursprungs, was sehr kompliziert klingt: Onomatopoesie. Es enthält das Wort „Poesie“ und genau so empfinde ich es gerade auch beim Schreiben. Sensomotorik, Sinnlichkeit, mit allen Sinnen leben.
Auf einmal höre ich die Worte. Und ich spüre förmlich schon die Luft, die meine Worte durch lautes Lesen aus mir herausströmen lässt. Denn die Luft fließt, spürbar. Und ich habe das Bild vor Augen, das Tor, durch das die Sensomotorik schreitet, ich sehe ihr Glitzern und Sprühen vor mir. Sprühend wir unsere Neurologie, die Synapsen, die sich verknüpfen, die durch Strom arbeiten. Sie knistern und sprühen Funken.
Der zweite Teil des Begriffs:-motorik
Und auch der zweite Teil des Begriffes -„Motorik“ ruft eine Menge Assoziationen hervor. Wenn ich das Wort laut ausspreche, verändert es sich.
Das habe ich als Kind so gern gemacht. Worte so lange aussprechen bis sie ihren Sinn verändert haben oder mir ihren Sinn endlich verraten haben, einen ganz persönlichen Sinn. Oder bis sie mich zum lachen gebracht haben. Manchmal lachte ich so lange und so laut bis ich nicht mehr konnte. Das fühlte sich so frei damals an. So mit Worten spielen zu dürfen. Ja, überhaupt Wortspiele, wie spielerisch gehen wir denn mit Worten um? Erschließt sich dann vielleicht der Sinn, wenn wir mehr spielen, weniger angestrengt darüber nachdenken?
Also Motorik. Während ich das Wort laut ausspreche, höre ich den Motor. Die Konsonanten ergeben einen Rhythmus. Sie sind scharf und klar, fast höre ich eine Lokomotive fahren. Sie setzt sich in Bewegung, nimmt Geschwindigkeit auf und fährt ihrem Ziel entgegen, sie nutzt alles, was sie braucht, um vorwärts zu kommen und bewegt sich dabei rhythmisch.
Und schon habe ich alle Stichworte, die die Motorik braucht. Motorik ist das, was es uns ermöglicht, uns zu bewegen. Und wann immer wir in unseren Ausbildungen oder in Blog-Artikeln auf komplizierte Zusammenhänge näher eingehen, dann bitte ich dich, liebe Leserin und lieber Leser, all deine Sinne zu nutzen. Gerade beim Lesen von wissenschaftlichen Texten, die manchmal wirklich schwierig zu verstehen sind, sind Sinne von unschätzbarem Wert.
Die sinnliche Wahrnehmung und das Lernen
Denn erst die sinnliche Wahrnehmung ermöglicht uns zu lernen. Bilder, die erscheinen und mich inspirieren, Gefühle, die ich innerlich fühle. Manchmal schmecke ich Worte regelrecht.
Wir verbinden also ganz bewusst im sensomotorischen Wahrnehmungstraining all unsere Sinne mit der Bewegung. Und das ist nicht esoterisch, wir sind ungeheuer präzise, wir folgen unseren Empfindungen, um einem solch flüchtigen Geschehen, wie dem Gesang, dem Weg der Stimme auf die Spur zu kommen. Uns über sie ausdrücken zu können. Im Alltag genauso wie auch im professionellen Gesang auf der Bühne.
All unsere Sinne in die Bewegung einfließen zu lassen, damit sich alles sinnvoll bewegen darf. Die Töne, der Körper, wir als Ganzes. Und damit bewegen wir uns und unser Publikum. In allen Sinnen dieses Wortes.
Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich bin beim Schreiben, in diesem Moment so mit allen Sinnen verbunden, dass mir kein Wort, was ich gerade schreibe oder denke mehr trocken und schwierig vorkommt.
Aus kompliziert wird komplex
Aus dem Komplizierten ist auf einmal das Komplexe geworden. Und das macht mich neugierig. Komplexität ist etwas, was ich liebe. Denn in der Komplexität hat so vieles einen Platz, jede von uns kann dort ihren eigenen Weg, ihren eigenen Platz finden. Die Individualität kann gefeiert werden. Es entsteht Kontakt und Neugier.
Wenn wir erlauben, dass die Sinne, die senses uns leiten, unsere Bewegung leiten, unser Motor sind, dann muss Tun nicht mehr aus dem Willen geschehen, sondern wir kommen ins Tun. Denn wir wissen, dass wir gar nicht anders können, als mit allen Sinnen zu leben und unsere Welt wahrzunehmen.
SENSO-MOTORIK – auf einmal siehst du anders aus, auf einmal klingst du so anders, auf einmal tun sich Tore auf.
Ach wie schön, ja das ist so stark zu spüren, auch beim Lesen. Ja, nur schmecken kann ich sie erst, wenn ich sie nicht lese, sondern selbst spreche.
Es erinnert mich an meine Comicsprache, die ich oft als Kind benutzte: „Peng, bum, uuuf, Kotz, übel, seufz, schluchz, ächz, ooooing!“ Wie lustig, dass das Onomatopoesie ist. Danke für dieses neue Wort:-)!