Was alles ist möglich, wenn wir das Vokaldreieck im Gesangsunterricht methodisch und pädagogisch wissend einsetzen können?

Wie wähle ich die richtige Stimmübung aus? Natürlich können wir immer wieder Übungen auswendig lernen, die wir bei Lehrer:innen gehört haben. Ihre Vokalfolgen, ihre Tonhöhen, ihre Tonhöhen-Abfolgen.

Aber leichter wird alles, wenn wir uns vergegenwärtigen, warum wir bestimmte Abfolgen von Vokalen und Vokalfarben benutzen und was sie bei uns und unseren Schüler:innen bewirken.

Das Vokaldreieck – ein tolles Tool für den Gesang

Und ein tolles Tool, um sich das zu vergegenwärtigen ist das Vokaldreieck. Es ist entstanden aus dem Wissen um die akustische Nähe bestimmter Vokale. Denn Vokale entstehen aufgrund definierbarer Frequenzen, die uns durch unser Ohr erkennen lassen, dass wir mehr Vokalfarben herstellen können als der berühmt-berüchtigte sprechende Hund bei Loriot. 😅 Wir haben die Fähigkeit durch die Bewegungsmöglichkeiten von Kiefer, Lippen und Zunge sehr viele verschiedene Vokalfarben hervorzubringen.

Und das Vokaldreieck ist ein wunderbares Tool, was wir nutzen, um uns mit der Artikulation beim Singen vertraut zu machen und am sogenannten Vokalausgleich zu arbeiten.

Schauen wir es uns einmal genauer an:

Vokaldreieck

 

Man könnte auf den ersten Blick denken: ah, lauter verschiedene Buchstaben.

Wenn wir an Sprache denken, magst du da recht haben. Denn so nennen wir diese Gebilde, die es uns erlauben, sie in allen möglichen und unmöglichen Kombinationen zusammenzusetzen und uns damit unglaublich vielfältig in sehr, sehr vielen Sprachen verständigen zu können. Wir können damit sowohl tiefe Gefühle ausdrücken als auch die Erklärung der Relativitätstheorie bewältigen (so wir sie selbst verstanden haben 😅). Wow, Sprache – was für ein Tool für die Kommunikation unter Menschen.

Aber beim Singen schauen wir uns die Vokalgebilde unter einem anderen Aspekt an. Nämlich unter dem der Bewegung. Und vor allem geht es beim Singen von Übungen nicht in erster Linie um Verstehen der Sprache, sondern um den Klang. Wir wissen, manche sehen das anders. Sie meinen Singen sei Sprache auf Tonhöhe, aber das funktioniert nicht. Könnt ihr selbst ausprobieren, indem ihr auf einem sehr hohen Ton versucht, gleichzeitig deutlich zu sprechen wie halt beim Sprechen und euch gleichzeitig bequem in eurem Hals zu fühlen. Bei dir klappt das? Dann bist du ein akustisches Wunder oder du warst noch nicht hoch genug mit der Tonhöhe 😉

Kommen wir zurück zum Klang. Wir haben gute Möglichkeiten den Klang zu beeinflussen durch die Artikulation. (Du möchtest mehr über Artikulation und die Artikulations-“Werkzeuge” erfahren, dann lies hier)

Verschiedene Bewegungsrichtungen im Vokaldreieck

Am besten lernen wir neue Dinge, wenn wir nicht zu viel Veränderungen auf einmal vornehmen müssen. Schritt für Schritt ist leichter als die Siebenmeilenstiefel zu nehmen.

Und da hat das Vokaldreieck die richtigen Kombinationen für uns parat. Je nachdem an welchem Thema der Artikulation wir gerade arbeiten möchten, können wir uns die entsprechenden Vokalreihen heraussuchen.

Und wir können auch selbst kreativ werden und eigene Reihen zusammen stellen.

Denn alle Vokalkombinationen sind Bewegungen und Bewegungsrichtungen. Wollen wir uns in Richtung Öffnung des Kiefers bewegen, wählen wir die Kombinationen, die uns zum Vokal A führen. Wenn wir eher die Rundung der Lippen trainieren wollen, werden wir die Folgen wählen, die uns zu U und O führen. Wollen wir hingegen die Zunge in Bewegung bringen, bieten sich die Kombinationen an, die Richtung I, E und Ä gehen. Denn wenn wir die angegebenen Reihenfolgen wählen, haben wir immer nur sehr kleine Schritte von einem zum nächsten Vokal zu gehen. Damit fällt es uns und unseren Schüler:innen viel leichter, eine günstige Vokalgestaltung zu finden. Und damit lernen sie die notwendige sängerische neue Artikulationsbasis, die sich vom Sprechen teils deutlich unterscheidet.

 

Bewegungen in Richtung A – auf dem Weg zur Kieferöffnung

Die Kieferöffnung ist die erste und am Anfang wichtigste Bewegung, die wir beim Singen brauchen. Beim Sprechen ist der Mund meist nicht sonderlich weit geöffnet und es ist wichtig, das zu ändern. Denn wir brauchen eine Öffnung im Atemweg, damit in recht kurzer Zeit genug Luft in unsere Lungen kommen kann. Und wir brauchen die Öffnung des Mundes, damit wir mehr Klang produzieren können. Mehr Raum = mehr Klang -> ganz einfache Rechnung.

Nun haben wir verschiedene Möglichkeiten, um zu einer Kieferöffnung zu gelangen. Ich habe da mal was vorbereitet und ein paar Pfeile entfernt, damit die Wege klarer werden.

Vokaldreieck Richtung A

Möglichkeit 1: Wir starten mit U über O und kommen (manchmal noch über ein offenes O) zum A. Wir haben, wenn es gut läuft eine Lippenrundung bei U, öffnen den Kiefer weiter, ohne die Rundung zu verlieren und kommen damit zu O. Und sobald wir den Kiefer noch weiter öffnen, sind wir schwupps im A. Oder auch weniger schwupps, denn wir können natürlich alle möglichen Vokalfarben, die zwischen zwei uns bekannten Vokalfarben liegen ausprobieren.

Aus dem Lernen von Fremdsprachen wissen wir, dass beispielsweise einer dieser typischen schwedischen Vokale ein Klang ist, den wir irgendwo zwischen O und A einsortieren würden. Also freut euch an vielen, vielen Vokalfarben, die wie auf einer Farbpalette ineinander fließen können.

Möglichkeit 2: Wir beginnen mit I, gehen über E zu Ä und landen wieder beim A. Diesmal sind wir mit einem Vokal mit Zungenhebung, nämlich dem I gestartet. Die Zunge darf weiter gehoben bleiben, jedenfalls ein wenig und wieder öffnet sich langsam der Kiefer bis wir bei Ä angekommen sind. Da ist der Kiefer schon genauso weit geöffnet wie beim A und nun müssen wir nur noch die Zunge leicht senken lassen und wieder schwupps, sind wir beim A. (zu schwupps oder nicht nicht-schwupps siehe oben 😉)

Möglichkeit 3: Version für Fortgeschrittene. Denn nun kombinieren wir. Wir lieben unsere Rundung, ergo starten wir bei U. Aber Zungenhebung finden wir auch cool, denn manchmal haben wir dann viel Platz in unserem Resonanzraum, dem Vokaltrakt (du mehr über den Vokaltrakt wissen wollen? Lies hier)

Nun können wir mit dem Vokal Ü beides als Doppelpack haben. Es ist gerundet wie beim U und die Zunge ist gehoben wie beim I, toll. Wir wollen Rundung beibehalten, aber auch den Kiefer langsam öffnen, denn schließlich ist A unser Ziel. Dann wählen wir den Weg über Ö und Ä und schwupps… du weißt schon, A. Super.

Unsere Einladung an dich: probiere alle Wege aus und stell dir selbst Fragen.

  • Wann fällt es leichter, den Kiefer in Richtung A zu öffnen?
  • Wie verändert sich die Vokalfarbe des Vokals A?
  • Welches A scheint momentan stimmlich am wenigsten anstrengend zu sein?

Bewegungen in Richtung U – auf dem Weg zur Rundung

Die zweite Bewegungsrichtung, die wir trainieren ist die Rundung der Lippen. Kieferöffnung fand noch sehr weit außen statt, die Rundung im Grunde genommen auch, aber wir können Auswirkungen der Rundung bis in die Rachenrückwand spüren. Und genau das ist der Ort, den wir erreichen wollen. Denn der Rachen ist unser Resonanzraum, unser Vokaltrakt beim Singen.

Und auch hier haben wir wieder verschiedene Wege, die wir einschlagen können. Ich habe die Abbildung dazu nochmal ein wenig angepasst, damit es klarer wird.

Vokaldreieck Rundung

Möglichkeit 1: Wir kommen vom Vokal A, denn die Kieferöffnung beim Einatmen und Singen haben wir als erstes schon geübt. Der Kiefer ist also offen und die Lippenrundung kommt dazu. Wir können ausprobieren, wie weit sich der Kiefer schließen muss, wenn wir über ein offenes O zu einem geschlossenen O und schließlich einem U kommen. (Mit offen und geschlossen sind vor allem die Vokalfarben gemeint, aber interessanterweise ist es auch der Kiefer der dazu mehr Öffnung oder Schließung benötigt.) Wir trainieren, dass unsere Lippen sich wie bei einer Kameralinse in Rundung Richtung Kussmund bewegen dürfen. Die Mundwinkel sind dabei diejenige, die die Bewegung leiten.

Möglichkeit 2: Wir möchten mit einer gehobenen Zunge starten, warum auch immer. Dann wählen wir den Weg I durch Ü zu U. Hier lernen wir, wie wir mit einer gehobenen Zunge in die Rundung gehen können und wie sich die Zunge auch beim U etwas höher ablegen darf, als wir es durch die Sprache meist gewohnt sind.

Möglichkeit 3: Auch hier haben wir eine fortgeschrittene Version, die uns mit allen drei Artikulationsbewegungen konfrontiert. Allerdings, wie in der gesamten Arbeit mit dem Vokaldreieck kommt immer nur eine neue Bewegung dazu. Diesmal starten wir wieder auf einem A mit geöffnetem Kiefer. Und nun wollen wir zuerst die Zungenhebung mit hineinnehmen, also gehen wir zum Ä. Von dort fügen wir Rundung hinzu für Ö und Ü und kommen schließlich von da aus auch wieder bei unserem U an.

Und auch hier interessieren wir uns für die Unterschiede, die die einzelnen Wege haben. Vergleiche die drei Vokalfarben von U, die du erhältst.

  • Wie fühlt sich die Bewegung der Lippenrundung an, wenn du vom A mit einem weit geöffneten Kiefer kommst?
  • Und welches U erreichst du, wenn du mit Zungenhebung, aber einem nicht so geöffneten Kiefer startest?
  • Ist es möglich zu einem weit geöffneten Kiefer mit einer gehobenen Zunge die Rundung für Ö hinzuzufügen? Und was macht das am Ende mit deinem Vokal U?

Bewegungen in Richtung I – auf dem Weg zur Zungenhebung

Last but not least kommen wir jetzt zur Zungenbewegung. Das ist die am Anfang schwierigste Bewegung und das hat mehrere Gründe. Die Zunge ist ein sehr flexibles, muskuläres Gebilde. Man könnte sie fast als ein eigenes Organ bezeichnen, denn sie hat ein deutliches Eigenleben. Das hat sie aufgrund ihrer vielen verschiedenen Funktionen und neurologischen Ansteuerungen. Den Seufzer: meine Zunge macht nie das, was ich möchte, hören wir sowohl von Anfänger:innen als auch von Fortgeschrittenen. Du bist also nicht allein, falls du das kennst.

Und am besten bringen wir dann das ganze System in Bewegung, statt die eine richtige Position zu suchen und die arme Zunge dort festzunageln. Dazu kommt hier wieder die Abbildung mit den möglichen Bewegungsrichtungen.

Vokaldreieck Zungenhebung

Möglichkeit 1: Wir starten wieder mit der gut geübten Kieferöffnung auf dem Vokal A. Lassen nur die Zunge sich heben zu Ä, beobachten wie weit der Kiefer sich schließen muss zu E und schließlich zum I. Das Schwupps lassen wir gleich mal weg, denn die Wahrnehmung der Zunge braucht ein wenig Zeit.

Möglichkeit 2: Wir haben auch die Lippenrundung gut geübt und möchten ein runderes I bekommen, denn manchmal ist ein Vokal I auch mal etwas scharf und das ist vielleicht nicht immer unsere Intention. Wir beginnen also mit einem gerundeten U, wandern zum immer noch gerundete Ü mit der Zungenhebung. Und von dort lassen wir die Rundung ein wenig gehen, so dass wir ein I hören können.

Möglichkeit 3: Wir möchten wieder mit Kieferöffnung beginnen, aber die Zungenhebung zum Ä mit dem geöffneten Kiefer tat uns auch gut. Außerdem möchten wir die Rundung mit hinein nehmen. Deshalb wählen wir den scheinbar umständlichen Weg über Ö und Ü zum angestrebten I. Genial, wie wir immer wieder finden. Und sobald du gelernt hast, in Bewegungsrichtungen statt in Buchstaben zu denken, ist es auch nicht mehr schwierig, auf einmal 5 statt 3 Vokale in einer Übung zu singen.

Möglichkeit 4: Jaha, hier haben wir noch eine weitere Möglichkeit. Du findest die Kombi AOU richtig gut, denn der Kiefer ist geöffnet, du kannst die Lippenrundung supergut gestalten und suchst eine günstige Zungenstellung. Dann wähle doch spaßeshalber die zweite Vokalreihe mit 5 unterschiedlichen Vokalen und geh den Weg AOUÜI.

Auch jetzt hast du wieder viele Möglichkeiten, etwas zu vergleichen. Wenn du die Übungen als Pädagogin anwendest, sei neugierig wie sie sich im Klang unterscheiden.

  • Wie scharf oder rund ist das I, das wir erreichen? Unterscheidet es sich auf den unterschiedlichen Wegen?
  • Wie dunkel oder wie hell scheint das I zu klingen?

Und als Sänger:in beobachtest du vor allem wie dein Bewegungs- und Stimmempfinden ist.

  • Wie leicht lässt sich die Zunge bewegen, wenn du über die Kieferöffnung und den Vokal Ä gehst?
  • Wie leicht lässt sich die Zunge bewegen, wenn du zuerst die Rundung dazu nimmst, um darüber zu einem I zu gelangen?
  • Welcher Weg scheint sich auch stimmlich für dich am geschmeidigsten und leichtesten anzufühlen?

Einladung zum Spielen mit verschiedenen Tonhöhen und Abfolgen

Und wenn du dir das Vokaldreieck noch einmal vornimmst, findest du bestimmt noch weitere Kombinationen, die sich lohnen, sie mal auszuprobieren.

Am Anfang, wenn es um das Erlernen einer neuen Bewegung geht, ist es sehr gut, wenn du es auf einem Ton machst.

Möchtest du später mehr Bewegung in die Angelegenheit bringen und ausprobieren, ob es sich schon ein wenig automatisiert hat, dann wähle gern Arpeggien, Dreiklangsbrechungen bis zur Quinte oder Oktave.

Bist du schon fortgeschrittener, dann mach es ruhig auch mit Tonleitern und Dreiklängen über 2 Oktaven.

Erlaubt ist, was gut geht und gefällt und vor allem Spaß macht.

3 Kommentare

  1. Me encantan todos estos ejercicios.Los vengo probando desde hace bastante con con mis profes y estoy feliz por eso!!.Las vocales mas dificiles para mi siendo argentina, son las que llevan Umlaut pero a su vez me han permitido encontrar nuevos movimientos con la lengua, el lomo, aunque no tanto la raiz( yo tambien la he denominado, espalda de la lengua, jaja) y sentir sonoridades nuevas…más aun..canto de armónicos..Lo novedoso de este triangulo, es para mi la sistematizacion de los recorridos.Es genial!!!

  2. Der Vokal, der Vokal
    Sucht den Raum sich seiner Wahl
    Schön gerade, oder schiefer
    Öffnet sich der Unterkiefer
    Macht auf das Tor, die Tür macht weit
    Für’s „A“ – durch das manch einer schreit!

    Das „O“ – es sei nicht ausgeklammert
    Was hab ich schon drüber gejammert
    Von allem etwas – eine Qual –
    Bis es sich zeigt – das O-Oval!

    Da lob ich mir das feine „U“
    Da geht der Kiefer wenig zu
    Er öffnet sogar unumwunden
    Wenn sich zugleich die Lippen runden
    Gar wohnlich wird es so im Rachen
    Kannst dunkle, warme Klänge machen

    Und hast du deinen Schlund entdeckt
    Wenn dich der Abgrund nicht mehr schreckt
    Kann auch die Zunge sich erheben
    Und bringt die „I“s und „E“s zum Leben –
    Ohne die Kehle zu bedrängen
    Und deinen Hals dir zur verengen

    Die „Ö“s und „Ü“s und „Ä“s dazwischen
    Kommen dann weniger gekrischen
    Erkenntnis all der Überlegung:
    Vokale sind schlichtweg Bewegung 😉

    • Sybille, du bist ja wohl der Kracher. Lustiger und richtiger kann man es kaum auf den Punkt bringen. Ich sehe sich ein neues Berufsfeld eröffnen: Die ultimative funktionale Dichterin. Yeah, I am your fan 😎

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit * markiert.

Beitragskommentare