7 Tipps, wie du deine Stimme gut behandeln kannst

Und hier kommen 7 ausgewählte Tipps für dich, wie du deine Stimme gut behandeln kannst. Ich beziehe mich in diesem Artikel auf einen Blog Artikel, den wir vor längerer Zeit geschrieben haben. Es handelt sich um die “7 Tipps, wie du deine Stimme garantiert ruinieren kannst”.

Natürlich möchten wir die Sarkasmen und Übertreibungen, die in diesem Artikel zu lesen waren, nicht unkommentiert stehen lassen. Aber nach den vielen eigenen Erfahrungen und den Geschichten, die wir immer und immer wieder von Schüler:innen hören, mussten wir ihn einfach mal raus lassen, diesen Frust.

Und nun möchten wir euch ernst gemeinte Tipps mitgeben, auf was ihr achten könnt, wenn ihr eure eigene Stimme ausbilden möchtet.

Ulla Keller Hilkea Knies

Hier kommen die ehrlich gemeinten Tipps

Eigentlich sind wir angetreten, um ein wenig Licht in das manchmal Stockfinstere der Gesangspädagogik zu bringen. Nicht dass wir die Einzigen wären, die Ahnung haben – es gibt viele wunderbare Kolleg:innen da draußen – aber leider gibt es auch viel zu vieles, was regelrecht stimm-tödlich ist. Und das macht uns immer wieder betroffen. 

Tipp 1: Belting allgemein und die Idee, sich das Singen mit Videos beizubringen.

Belting ist eine besondere Technik innerhalb des Populargesangs, in der das Mischungsverhältnis zwischen der Spannungs- und der Masseseite der Stimme sich mehr in Richtung Masse verschiebt. Man könnte auch von Kopfstimm- und Bruststimmanteil in der Stimme sprechen. 

Die mediale Kompression ist ebenfalls erhöht. Mit medialer Kompression meinen wir den Druck, mit dem sich die beiden Stimmlippen bei der Phonation aneinander bewegen.

Die Schwierigkeit besteht darin, dass Anfänger:innen in den meisten Fällen viel zu viel Luftdruck benutzen, um diesen Sound zu erzeugen. Die Bruststimme wird einfach nur nach oben geschoben durch sehr lauten Gesang. 

Je jünger du bist, desto weniger wirst du merken, dass du deiner Stimme schaden kannst. Denn junge Stimmen sind noch flexibel und halten viel aus. 

Um selber einen gesunden Zugang zu dieser stilistischen Variante des Singens zu bekommen, ist es unserer Ansicht nach notwendig, dass du dir eine professionell ausgebildete Lehrerin suchst, die wirklich gute Ohren hat, um festzustellen, was bei dir genau beim Singen passiert. Diese Unterstützung kann dir ein Video niemals bieten.

Und gerade wenn du in den Basics der Stimme noch nicht viel Erfahrung hast, ist ausgerechnet Belting sehr fortgeschritten. 

Beginne doch erst einmal mit dem Kennenlernen deines Instrumentes. Hast du dich schon einmal intensiv mit deiner Atmung und Körperhaltung beschäftigt? 

Tipp 2: Was passieren kann, wenn du ein:e Lehrer:in mit kaum oder gar keiner Unterrichtserfahrung wählst

Natürlich ist auch dieser Punkt, wie die ganzen 7 Tipps, die Stimme zu ruinieren sehr überspitzt dargestellt.

Aber die Grundprobleme, die wir dort beschrieben haben, sind wirklich vorhanden. Wir haben genug Sängerinnen und Sänger getroffen, die uns genau davon berichtet haben.

Wir wollen nicht in Abrede stellen, dass es auch gute Kolleg:innen gibt, die Autodidakten sind. Und manche sind auch Naturtalente, was das Unterrichten angeht. Aber Hand aufs Herz: das sind die absoluten Ausnahmen.

Um die Stimme zu verstehen bedarf es einer Ausbildung und Erfahrung. Anatomische Grundlagen sind wesentlich, um den gesamten Mechanismus zu verstehen. Wir können uns sicherlich darüber unterhalten, wie spezifisch und genau es sein muss. Nützt es uns wirklich, wenn wir viele Muskeln herunter beten können?

Also wir können das, aber das ist es nicht, was uns zu guten Lehrerinnen gemacht hat.

Die Erfahrung spielt eine große Rolle. Aber eben auch, dass jemand gelernt hat hinzuhören und hinzuschauen. Wir sagen dazu: funktionales Hören und funktionales Sehen.

Denn nicht jede Stimme, die erst einmal schön oder cool oder ausdrucksstark klingt, wird gesund genutzt. Dafür sollte eure Lehrerin oder euer Lehrer gelernt haben die Dinge, die gehört werden auch zuordnen zu können. Und wenn er oder sie noch wenig Erfahrung hat, sollte er sich nicht zu schade sein, bei erfahrenen Kolleg:innen um Rat und vielleicht auch Supervision zu bitten. Wir selber haben eine jahrelange Ausbildung in Supervision hinter uns, die uns nochmal einen wirklich großen Schritt nach vorne gebracht hat, die Stimme noch viel genauer hören zu lernen.

Funktionales Hören

Zum Beispiel: Wie ist der Schwingungsablauf in den Stimmlippen? Ist es zu erkennen, dass zu viel Luftdruck von unten verwendet wird? Denn es gibt nicht nur entweder / oder, sondern auch da haben wir Abstufungen, die sehr fein sind in ihren hörbaren Auswirkungen, aber eine fatale Auswirkung auf die Gesundheit der Stimme haben können. Das braucht Zeit zum hören und eine kundige Anleitung und Wissen über eine gesunde Stimmfunktion. Und das bringt man sich eben nicht einfach über das Internet oder das imitieren von guten Sänger:innen bei.

Obwohl es einen unschätzbaren Wert hat, gute Sänger:innen zu hören, ihre Live-Videos anzuschauen und sich zu fragen, was es ist, was uns gefällt. Und was es ist, was wir hören. Wie scheinen sie zu ihren Klängen zu kommen? Was davon ist ihre individuelle Stimmfarbe, ihr Timbre und was liegt an der Art, wie sie singen?

Funktionales Sehen

Auch das Sehen spielt eine große Rolle. Manche Haltungen und Bewegungen sind für bestimmte Stimmfunktionen tödlich. Und manches davon ist ganz eindeutig: mit einem eingesunkenen Brustkorb ist die Atmung miserabel und wenn eine Lehrerin weiß, dass Atmung wichtig für das Singen ist, dann wird sie das zu Recht bemängeln und an der Haltung arbeiten.

Aber was weiß sie über Körperaufrichtung, über die Anatomie von Gelenken, Muskeln und Faszien, die ja die Aufrichtung überhaupt erst möglich machen? Kann sie Zusammenhänge erkennen, die mit der Haltung zu tun haben und sich in der Stimme dann zeigen?

Auch da braucht es Anleitung, um funktional sehen zu lernen.

All das ist kein Hexenwerk, aber wie in allen Berufen ist es notwendig, Ausbildungen zu machen, damit man die Feinheiten lernen kann. Das braucht Zeit und gute Lehrer:innen, die einem das Unterrichten beibringen können.

Zukünftige Lehrer:innen nach ihrer Ausbildung fragen

Von daher auch hier unser Tipp: lasst euch erzählen und zeigen, was die von euch ausprobierten Lehrer:innen gelernt haben. Fragt sie aus mit Interesse, kommt ins Gespräch und nehmt euch das Recht, auszuprobieren, bevor ihr euch entscheidet, ob das euer Lehrer oder eure Lehrerin werden soll. 

Kleiner Tipp am Rande: Probestunden müssen nicht kostenlos sein, denn egal, was die Lehrkraft gelernt hat, sie investiert ihre Zeit und ihr Know-how für euch und sie hat ein Recht darauf, dafür bezahlt zu werden. Aber sprecht über Geld in dem Moment, wo ihr euch zu einer Probestunde entscheidet, damit ihr keine bösen Überraschungen erlebt.

Tipp 3 war: Sing immer so laut, wie du nur kannst

Und auch dieser Tipp ist in unserem Artikel deutlich sarkastisch dargestellt. Aber er enthält sehr kompakt vieles, was uns immer wieder begegnet.

Bruststimme mit Lautstärke nach oben ziehen

Wenn wir unsere Bruststimme zu weit nach oben ziehen, damit wir auf alle Fälle vor allem rockig klingen, geht das bei den meisten Sängerinnen, aber auch Sängern vor allem erst einmal nur laut.

Kommt dann noch der Probenraum dazu, wo wir immer wieder meinen, dass wir eine E-Gitarre mit verzerrtem Sound, der verstärkt wird übertönen müssen, dann kommen wir aus dem lauten Singen überhaupt nicht wieder raus.

Und entgegen der altertümlichen Ansicht, schreien würde die Lunge und die Stimmbänder kräftigen, wissen wir aus eigener Erfahrung als Coaches, dass das definitiv nicht stimmt. Dauerhaftes Schreien führt zu Stimmbandknötchen und anderen unschönen Dingen, die ihr als Sänger:innen definitiv nicht haben möchtet.

Vielleicht schaffen diese Ideen Abhilfe

Hier ein paar Ideen von unserer Seite: 

Bittet eure Kolleg:innen im Probenraum darum, dass sie ihre Verstärker leiser drehen, dass vielleicht auch der oder die Schlagzeuger:in ein wenig leiser spielt oder im besten Fall den Schall durch einen kleinen Plexiglaskasten vom Rest der Truppe ferner hält. Das tut niemandem weh, ganz im Gegenteil. Auch eure Ohren werden es euch danken.

Für die Bühne ist ein gutes Monitoring sehr wichtig, so dass du dich gut hören kannst und nicht anfängst zu schreien, weil du nichts hörst. Aber das Monitoring ist nochmal ein ganz eigenes Thema.

Wie reagieren deine Stimmlippen beim zu lauten Singen?

In dem Moment, wo du zu laut singst oder auch sprichst, passieren physiologisch und neurologisch verschiedene Dinge. Das Wichtigste ist, dass zu viel Druck verwendet wird, damit die Stimmlippen dicker werden, denn die höhere Muskelmasse, die damit einher geht erzeugt deine Lautstärke. Und die Stimmmasse könnte auch auf gesündere Art produziert werden, doch das braucht ein wenig Zeit.

In einem unserer Kurse haben wir mal ein schönes Wort dafür geprägt:

Word Voice Experience Freiwillige Masse

Und was sagt unser Nervensystem dazu?

Auch neurologisch passiert etwas im Körper, wenn wir mit zu viel Druck singen und sprechen. Unser Nervensystem gerät in eine Art von Kampfmodus und in diesem Zustand sind wir nicht mehr so wahrnehmungsfähig. Und je weniger wir von uns mitbekommen, desto lauter und härter werden wir oft. Und so kommen wir in einen Teufelskreis. Irgendwann schließen die Stimmlippen beim leisen Singen nicht mehr. Und dann finden wir es zu hauchig, zu piepsig für unsere Musik und bleiben lieber weiterhin zu laut in unserer Stimme.

Kopfstimme trainieren, siehe Punkt 4

Wenn du erst da angekommen bist, dass es schwierig geworden ist, raten wir dir, trotzdem vor allem deine Kopfstimme zu trainieren, auch wenn sie am Anfang piepsig klingt. Leiser zu singen ist auch gut. Du erweiterst damit dein Ausdrucksspektrum enorm.

Die Atmung solltest du ebenfalls beachten. Denn eine Atmung, in der sich dein Brustkorb weiten darf und geweitet bleiben darf ist dazu in der Lage, den Druck auf deine Stimmlippen zu verrringern. So wird es leichter und gesünder, leiser singen zu lernen. Wenn du magst, probiere doch mal diese Körperübung aus, die einen positiven Einfluss auf deine Atmung hat.

Und gerade wenn die ersten Stimmprobleme schon aufgetreten sind, ist ein Profi im Bereich Stimme ein absolutes Muss. Ich verweise gern nochmal auf Punkt 2.

Tipp 4 behandelte die Frage der Kopfstimme für Frauen

Wir haben diesen Punkt in unseren Anti-Artikel aufgenommen, weil er speziell in der Popularmusik wichtig ist. Im klassischen Gesang würde man nicht unbedingt auf diese Idee kommen. Aber in der Rockmusik ist es manchmal mehr als verpönt ist, Kopfstimme zu singen.

Dieser Tipp wurde inspiriert durch eine Schülerin, die genau mit dieser Aussage zu uns kam. Ihr Rocklehrer (übrigens kein ganz Unbekannter, er hat sogar ein Buch geschrieben) hatte ihr mehr oder weniger verboten, Kopfstimme zu singen. 

Und das ist etwas, was bei Frauen schneller zu Problemen in der Stimme führen kann, als du “one, two, three, test” sagen kannst.

Warum gerade für Frauen die Kopfstimme immens wichtig ist

Gerade für Frauen, die den Hauptanteil ihrer range in der so genannten Kopfstimme haben, ist es für die Gesundheit absolut notwendig, diesen Teil ihrer Stimme zu trainieren.

Wenn wir uns vorstellen, dass wir wie überall im Körper auch auf der Ebene der Stimmlippen einen muskulären Antagonismus haben, ist es nur logisch, dass wir beide Muskeln dieses Antagonismus auch trainieren sollten.

Ein kurzer Ausflug in die Physiologie der Stimme: 

Wenn wir lauter und tiefer singen möchten, brauchen wir dazu den Vocalis Muskel, der die Stimmlippen verkürzt und dicker macht. Möchten wir hingegen Tonhöhe nach oben singen, brauchen wir im besten Fall den CT (M. crico-thyroideus), der unsere Stimmlippen spannt und verlängert. Und zusätzlich brauchen wir einen gut geöffneten Resonanzraum, in dem all das verstärkt werden kann und in dem die Muskulatur ungestört arbeiten kann.

Wenn wir nun durch hohe Lautstärke und zu viel Druck nach oben, um überhaupt auf die hohen Töne zu kommen, den Vokalis immer mehr in Aktivität bringen und dadurch unseren Resonanzraum immer mehr schließen, kann der arme CT dagegen nicht anziehen.

Alltagstaugliches Beispiel:

Tauziehen
Die Tonhöhenregulation als Tauziehen zu verstehen ist keine so gute Idee. 😎

Stell es dir als Frau etwa so vor: Du stehst an einem Ende des Seils zum Tauziehen und am anderen Ende des Seils stehen drei Typen, die nichts Anderes zu tun haben, als ihre Tage im Fitness Studio zuzubringen. Egal, wie super gut auch du trainiert bist, sorry, no chance würde ich mal sagen.

Sorge also dafür, dass bei diesem Tauziehen faire Bedingungen herrschen. Bedanke dich bei den Herren, sag ihnen, dass dir einer reicht und versuche mit ihm eine gemeinsame Balance zu finden, statt ein Tauziehen unter Aufbietung all deiner Kräfte zu veranstalten.

Keine Panik, der “Bruch” in der Stimme ist anfangs völlig in Ordnung

Für deine Stimme bedeutet das: erlaube, dass ein Bruch in der Stimme entstehen darf, das ist normal. An der Glättung dieses Übergangs kannst du arbeiten, aber es braucht ein bisschen Zeit, wenn du bisher durch Druck versucht hast, diesen Übergang auf alle Fälle zu vermeiden.

Du darfst am Anfang hauchig klingen, es darf ein wenig piepsig sein und nicht besonders laut. Das wird sich alles verändern, wenn du weiter trainierst.

Wähle Vokale aus wie /u/ und /ü/. Die machen es dir leichter, überhaupt in deiner Kopfstimme anzukommen, wenn du Schwierigkeiten haben solltest, sie überhaupt zu erreichen.

Und wie immer unser bewährter Tipp: suche dir bitte eine gute Gesangslehrerin – in diesem Fall würde ich wirklich eher zu einer Frau raten, weil sie, wenn sie gut ist, genau weiß, wie sich das Singen in der Kopfstimme anfühlt und wie man es modifizieren kann, damit es auch nach oben kraftvoll klingen kann.

(als ich diesen Aspekt auf Facebook beschrieb, beschwerten sich – zu Recht – einige Männer, dass natürlich auch sie die Kopfstimme der Frauen gut trainieren, erklären und unterrichten können. Das ist wahr, wir kennen eine Menge tolle Kollegen, die sich damit bestens auskennen, aber es gibt eben auch eine Menge Gegenbeispiele – leider, leider)

Denn auch in der Kopfstimme kann man viel zu viel Druck ausüben, auch wenn es vom Klang her anders erscheinen mag. Und ein professionelles Ohr nützt dir bei all deinen Fragen, die du hast.

Und für jetzt: keep on singing und lass dir den Spaß dabei nicht nehmen.

Gern kannst du Fragen an uns stellen oder jetzt bei Get your voice mitmachen

Und wenn Fragen auftauchen, kannst du gern eine E-Mail an uns schicken oder einen unserer Starter-Kurse belegen. Gerade läuft ein Programm unter dem Namen: Get your voice an, in dem du unsere Arbeit kennenlernen kannst. (vom 25.-29.10.21)

Manche Fragen lassen sich leicht beantworten, manche schwerer, aber Lösungen gibt es immer für stimmliche Fragen und Probleme.

Tipp 5: Wie sollte dein:e Lehrer:in mit dir umgehen?

Das ist für uns ein ganz wichtiger Aspekt innerhalb der Gesangspädagogik. Nicht nur die Frage, wie gut dein:e Lehrer:in ist, sondern auch wie er oder sie mit dir umgeht im Unterricht.

Wenn wir schreiben, dass du dich so richtig fertig machen lassen solltest von deinen Lehrer:innen ist das wie alles in dem “Ruinierungs-Artikel” schon fast bösartig. Aber auch das wurde leider inspiriert durch unsere eigenen Erfahrungen und die Erfahrungen von Schüler:innen, die ihre Erlebnisse geschildert haben.

Was wir definitiv nicht brauchen

Aber was wir immer wieder erleben ist die alte Vorstellung, dass man die angehenden Sänger:innen, gerade an den Musikhochschulen gut auf die harte Laufbahn vorbereitet, wenn man ihnen gleich von Beginn an mit harter Kritik und der ungeschminkten Wahrheit begegnet. Denn schließlich sei eine Opernbühne, eine Musical Produktion kein Ponyhof. Die ganze Branche sei schließlich ein einziges Haifischbecken, also wird schon im Studium gebissen, was das Zeug hält.

Auch private Musical Institute sind da ein Beispiel, das wir aus eigener Erfahrung kennen. Da werden Leute mit Stimmstörungen aufgenommen, ihnen wird erst erzählt, dass sie eine ach so individuelle Stimme haben und dann werden sie irgendwann nur noch fertig gemacht, weil die Intonation nicht stimmt, sie eine schlechte performance liefern würden und all der Mist, den sich die Sänger:innen auch im Fernsehen immer wieder gefallen lassen (müssen).

Was wir wirklich brauchen

Fakt ist allerdings das Gegenteil. Wenn wir lernen möchten, wenn wir etwas tief in uns verankern möchten, wenn wir Selbstvertrauen in uns und unsere Fähigkeiten lernen möchten, brauchen wir als erstes eine sichere Umgebung. Menschen, die fähig zu Kontakt sind, in denen wir liebevolle Mentoren haben, die uns verstehen, wie wir sind und uns unterstützen, auch in ihrer Art, Kritik zu üben. Die uns spüren lassen, dass sie Herz haben, dass wir ihnen als ihre Schüler:innen wichtig sind. Dass sie an uns glauben, dass es auch in Ordnung ist, mal Schwäche zu zeigen. All das sind Dinge, die mit dem autonomen Nervensystem zu tun haben.

Über die heutige Gehirnforschung, die populärwissenschaftlich aufgearbeitet ist, wissen wir, dass Lernen nur in angstfreier Umgebung wirklich gut funktioniert. Wer das nicht verstanden hat und meint, er oder sie würde die Schüler:innen durch Beschimpfungen und harsche Kritik zu mehr Leistung bringen, der hat Menschsein an sich noch nicht wirklich verstanden. Das ist schwarze Pädagogik und einfach nicht mehr zeitgemäß.

Deine Resonanzräume werden sich bei solch einem Unterricht mehr und mehr verschließen, du wirst mehr Druck aufbauen als nötig ist und wirst eine Menge Kompensationen lernen, die dir für eine ganze Zeit sogar nützen können, aber der emotionale Ausdruck wird auf Dauer nicht authentisch sein können und wenn du Pech hast, wird die Stimme irgendwann nicht mehr mitspielen.

Pädagogische Fähigkeiten einer Lehrkraft

Schau also, wenn du nach einer Lehrkraft suchst, dass du jemanden findest, der als erstes eine grundsätzlich positive Einstellung zu dir und deiner Stimme hat. Der die guten Dinge deiner Stimme fördert und ausbaut und auch klar benennen kann. Ein guter Vocal Coach wird sowohl mit dir herausarbeiten, was dir besonders gut liegt und womit du punkten kannst, aber auch schauen, wie die Gebiete, die du noch nicht so gut beherrschst weiter ausgebaut werden können. Er wird dir nicht Honig ums Maul schmieren, damit du auch bleibst, sondern wird ehrlich und wertschätzend mit dir umgehen.

Du wirst es merken, wenn du dich wohl fühlst, du wirst dich gesehen fühlen, du wirst dich auch gefordert, aber eben auch gefördert fühlen. Dein Körper- und Atemgefühl wird positiv auf den Unterricht reagieren. All das sind Zeichen, dass da pädagogisch etwas gut zu passen scheint.

Vertrau deinem Bauchgefühl an der Stelle, denn es kann gut heraus finden, wie sich ein sicherer und wertschätzender Umgang anfühlt.

Tipp 6 und 7: zwei stimmpraktische Tipps

Es geht dabei um wichtige gesangstechnische Fragen. Und auch hier, wie bei vielen Themen innerhalb der Gesangspädagogik scheiden sich die Geister manchmal sehr. Gerade auch hier, wenn es um Popularmusik geht, denn die soll natürlich klingen im Sinn einer Angleichung an die Sprachgewohnheit.

Aus dieser Idee hatten wir zwei etwas überspitze Anti-Tipps gegeben.

Tipp 6: Die Kieferöffnung während des Singens

Sollen wir bewusst den Mund öffnen oder reicht die Öffnung, die ich auch für das Sprechen nutze? Das ist die erste Frage, die sich beim Singen stellt. Das kann man relativ leicht beantworten, wenn man eine kleine Kieferöffnung beim atmen und singen einer größeren entgegen stellt. Mit der größeren Kieferöffnung haben wir in den allermeisten Fällen mehr Klang, mehr Einatmung in kürzerer Zeit und mehr Leichtigkeit in der Stimmgebung.

Und wenn wir uns gemeinsam auf eine weitere Öffnung geeinigt haben, dann ist die Frage: wie weit ist denn die optimale Öffnung? Ist sie unterschiedlich für die verschiedenen Vokale? Ist sie unterschiedlich für die einzelnen Tonhöhen?

Schon allein durch diese Fragen kann man sehen, dass es kein simples Thema ist, denn wir könnten auf alle Fragen sagen: das kommt darauf an. 

Nämlich auf den Vokal, auf die Tonhöhe und natürlich auf den Sound, den wir haben möchten.

Kieferöffnung ja, aber wie viel?

Wenn wir möchten, dass die Stimme genauso leise und vielleicht eher genuschelt klingt wie beim sprechen, sollten wir natürlich den Mund eher geschlossen lassen. Das ist auf der einen Seite mal wieder ironisch gemeint, könnte aber auch ein Hinweis sein, was wir als Stilelement mal in unsere Songs einbauen können. 

Aber in den meisten Fällen möchten wir Klang haben, wenn wir singen, viel Klang, mehr Klang. Und dazu muss sich der Kiefer öffnen dürfen. 

Eine kurze Übung dazu:

Für den Vokal „A“ wäre eine optimale Weite relativ nah an einer Öffnung, die entsteht, wenn ihr zwei Finger zwischen die Zähne nehmt. Und wenn ihr die Finger drin lasst und dann auf einem Ton die Vokalfolge “aoaoa” singt, dann könnt ihr auch mit der Rundung der Lippen spielen, die ihr ebenfalls beim Singen mehr nutzen solltet als ihr es vom Sprechen gewohnt seid. 

Wir brauchen also Kieferöffnung für mehr Klangvolumen, aber auch für eine größere Einatmung, denn die hat einen sehr positiven Effekt auf die Stimme.

Aspekte der Kieferöffnung

Und das Wichtigste ist, dass du dich wohl fühlst mit dem, was du machst. Denn eine Öffnung des Kiefers hat viele Aspekte, die man mit der Zeit kennen lernt, wenn man sich näher damit beschäftigt.

Wir haben auf der einen Seite die Sprachgewohnheit, die wir seit zig Jahren im Sprechen trainiert haben. Unsere Kieferöffnungsmuskulatur wird nur selten für weite Öffnungen genutzt, so dass die Muskeln einfach untrainiert sind. Und dann kommen Hilfsaktivitäten der Zunge dazu, die beim Singen auf Dauer nicht sinnvoll sind. Aber das braucht Zeit, um ein differenziertes Zusammenspiel zu bekommen.

Auf der anderen Seite ist Kieferschließung eine wichtige Schutzfunktion unseres autonomen Nervensystems. Wenn wir beginnen, den Kiefer weit zu öffnen kann es sein, dass dort Widerstände getriggert werden, die uns die Öffnung sehr erschweren. Wir finden es dann nicht sonderlich bequem und denken uns vielleicht, dass es nicht gut für uns sein kann, wenn es sich so verspannt anfühlt.

Da gilt es dann, die Schichten genauer anzuschauen und Geduld zu haben.

Ein paar Ideen von unserer Seite zur Kieferöffnung

Wir haben speziell einen Unterrichtstipp zur Kieferöffnung geschrieben. Es gibt unglaublich viele verschiedene Übungen, aber wir haben hier versucht, die unterschiedlichen Aspekte anzusprechen.

Du findest etwas für die Biomechanik, aber auch für das Autonome Nervensystem. Samt ein paar Erklärungen dazu.

Tipp 7: Die sängerische Atmung

Manche Menschen denken, dass sie beim Singen nicht extra einatmen müssten, denn auch beim Sprechen haben sie genug Luft, ohne extra zu atmen. Warum sollte das beim Singen anders sein? Besonders, wenn die Phrasen, die sie singen nicht sonderlich lang sind. ?

Ehe ich jetzt hier beginne komplizierte Dinge wie die Doppelventilfunktion zu erklären, zuerst eine Beschreibung. 

Bei langen Phrasen leuchtet es sicherlich ein, dass wir vorher genügend einatmen sollten, um lange singen zu können. Aber wozu sollte ich das auch bei kürzeren Phrasen tun?

Es gibt verschiedene interessante physiologische Abläufe, die bei der Atmung eine Rolle spielen. Sie zu kennen ist durchaus hilfreich.

Brustkorb und Lungen bei der Einatmung

Damit die Lungen sich überhaupt mit Luft füllen können, muss sich unser Brustkorb erweitern dürfen. Denn die Lungen selber atmen nicht, sie haben keine Muskeln. 

Und wenn der Brustkorb erweitert ist, dann folgt in den meisten Fällen auch recht schnell die Ausatmung. Dabei zieht sich der Brustkorb wieder zusammen, wir sagen dazu, die Rückstellkräfte des Gewebes um die Lunge herum werden aktiv. 

Luftballons, Frau bläst Luftballon auf
Das ist wie bei einem Luftballon, den du aufgeblasen hast. Wenn du die Öffnung nicht mehr verschließt, hat das Material das Bedürfnis, sich wieder zusammen zu ziehen.

 

Um zu lernen mit diesem Mechanismus umzugehen ist es wichtig, dass du so trainierst, dass dein Brustkorb die Erweiterung immer mehr halten kann und du nur das an Luft nutzt, was du für die Phrase wirklich brauchst. Optimal ist es, wenn deine Stimmlippen entscheiden können, was an Luft sie brauchen.

Die Arbeit unseres Zwerchfells beim einatmen

Der zweite Mechanismus, der bei der Atmung eine große Rolle spielt, ist dein Zwerchfell. Nur wenn es sich senkt, kannst du überhaupt einatmen. Und je tiefer es sich senken kann bzw. je aktiver es werden kann, desto mehr kannst du auch deinen Kehlkopf sich senken lassen. Und erst in der Senkung kann sich dein Kehlkopf wirklich entfalten. Auch der Raum über dem Kehlkopf, der Vokaltrakt wie wir ihn beim Singen nennen, wird dann länger und die Resonanz, die dein Ton bekommt wird besser. Der Ton wird lauter und bekommt mehr Obertöne.

Zurück zur Senkung und Entfaltung des Kehlkopfes. Alle Muskeln innerhalb, die deine Stimme steuern, können deutlich besser arbeiten, wenn sie nicht dadurch behindert werden, dass der Kehlkopf ähnlich wie beim Schlucken zusammengefaltet ist. Und dazu brauchst du eine Einatmung, die deutlich über 50% der Lungenentfaltung hinaus geht. Erst so kann sich der so genannte tracheale Zug optimal entfalten, der für das Sinken deines Kehlkopfes verantwortlich ist.

Beinmuskeln, Zwerchfell, Lungen, Kehlkopf
Eine kleine Collage, die aufzeigt, wie der große Zusammenhang von den Beinen, über das Zwerchfell zu den Lungen und dann zum Kehlkopf funktioniert in unserem Körper.

Auch die Bauchmuskeln spielen in dem ganzen Prozess noch eine große Rolle, aber das führt uns jetzt zu tief in die Anatomie.

Aber auch hier haben wir einen kleinen Unterrichtstipp in unserem Blog für dich, der dir eine Körperübung als Einatmungshilfe an die Hand gibt.

Probiere das ruhig einmal aus und versuche, für dich wahrzunehmen, ob sich deine Stimme verändert und ob sich vor allem auch das Gefühl für die Stimme verändert, wenn du eine größere Einatmung dazu nimmst. 

Um das gut zu erreichen ist auch die Kieferöffnung wichtig.

Gedanken zum Ende

Ich habe nur ein paar Themen aus dem großen Feld der Gesangspädagogik heraus gegriffen, die uns immer wieder in Kursen und in Gesprächen mit Schüler:innen auffallen und beschäftigen. Die Zusammenhänge sind so vielfältig und die Stimme ist im Gegensatz zum Instrumentalunterricht einfach nicht sichtbar.

Deshalb ist es auch so wichtig, auf wirklich fundiertes Wissen eures Vocal Coaches vertrauen zu können, gerade was das Hören und Sehen angeht. So vieles hängt zusammen, so dass es wenig Sinn im Unterricht macht, sich eine Sache heraus zu suchen, wenn man nicht versteht, wie sie im Zusammenhang mit der gesamten Stimmfunktion und dem Körper steht. Dafür braucht es Wissen. Und sich das anzueignen braucht seine Zeit. Für euch als Singende, aber eben vor allem auch für die Lehrkräfte, die es euch vermitteln.

 

Die Funktionen der Stimme hängen also mehr zusammen, als wir uns das am Anfang klar machen.

Frau, die mit Kopfhörer das Singen genießt

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